11. Januar 2010

Das Märchen vom Ausruhen in der 'sozialen Hängematte'

Ein Beitrag über die Behauptung, den Mythos (!) der sog. Sozialen Hängematte, auch unter den Begriffen Armutsfalle, Sozialhilfefalle bekannt.
Ein Kommentar von MALZ - Die Gesundheitsseite



DIE SOZIALE HÄNGEMATTE ...

Der Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch verführt überwiegend zur Bequemlichkeit - sollte man meinen.
Dabei wird die Überzeugung geäußert, daß es so etwas wie eine soziale Hängematte gäbe, und daß sich arbeitsfähige MitbürgerInnen im Bezug von Sozialhilfe (heute: ALG2) darin ausruhten. Die Standardökonomie spricht dabei gern von einer sog. Armutsfalle oder Sozialhilfefalle.
Auf der Grundlage dieser Vermutung ist das Konzept der Aktivierenden Sozialhilfe entstanden.
Inzwischen ist sogar von "staatlich bezahlter Faulheit" die Rede, so nachzulesen in einem WELT-Artikel zehn Tage nach der Bundestagswahl 2009. In ähnlicher Form legte die neugewählte Bundesarbeitsministerin von der Leyen im Januar 2010 nach - weitere Meldungen dieser Art.


.. ERSCHEINT IRGENDWO LOGISCH, ABER ...

Nun, das klingt alles irgendwie logisch, und das mögen manche auch felsenfest glauben - aber es stimmt nicht ....

In einer Studie an der Universität Leipzig hat der Soziologie-Professor Georg Vobruba eine Fehleinschätzung bezüglich der durchschnittlichen Bezugsdauer von Sozialhilfe widerlegen können. Möglich gemacht wurde dies durch ausführliche statistische Zahlen aus dem sog. sozioökonomischen Panel, die seit 1984 verfügbar sind.
Die Studie hat ergeben, daß die überwiegende Anzahl der Sozialhilfeepisoden (Verweildauer in Sozialhilfe) ziemlich kurz ist. Und das obwohl in vielen Fällen der Abstand zwischen Lohn und Lohnersatzleistung nicht gerade groß ist.


... IST EIN MÄRCHEN !

Damit ist das Vorurteil gegenstandslos, Sozialhilfe sei eine Art soziale Hängematte, in der sich viele ausruhten - und die entsprechende Rechtfertigung für das Fordern im 'Fördern und Fordern' des Sozialgesetzbuches II (ALG2) auch.
Und .. es war von Anfang an ein Märchen !
Denn diese Tatsache ist schon lange bekannt - die Studie stammt nämlich aus dem Jahre 2002 (!!!).


AUSGANGSPUNKT, MAN GLAUBT'S KAUM: DIE POLITIK



Wer nun glaubt, daß diese Debatten über "faule Arbeitslose" in Volkes Meinung ihren Anfang finden, der irrt ein zweites Mal. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) konnte nachweisen, daß Faulheitsdebatten von politischer Seite ausgelöst werden - und zwar in Zusammenhang mit bevorstehenden Wahlen.

Inzwischen findet man die Tatsache unter anderem auf dieser Wikipedia-Seite wieder.

Mehr Einzelheiten darüber sind hier nachzulesen.


UND WIE SIEHT'S BEI HARTZ 4 AUS ?

Sicher, die Studie von Prof. Vobruba stammt aus "Sozialhilfezeiten", also etwa 3 Jahre vor Einführung des Sozialgesetzbuches II, sprich ALG2 (Hartz IV). Veränderungen zum Negativen wären zwar vorstellbar, aber logisch nicht zu begründen. Der Hauptgrund dafür sind u.a. die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien und die überdeutlich gestiegenen Kontrollmaßnahmen.

Ein Hinweis dafür, daß sich die Moral bei der Inanspruchnahme von Regelsatzleistungen im ALG2 nicht nennenswert verschlechtert hat, findet sich in einer Untersuchung des Landkreises Minden-Lübbecke vom November 2005 ........
(Siehe im Absatz ab "Das Bundesministerium für ...")
Mindener Tageblatt - Die Zahl der Bedarfgemeinschaften steigt weiter an


DREI AUSDRUCKSWEISEN - EINE AUSSAGE

Neben der sog. sozialen Hängematte aus der Umgangssprache gibt es noch die beiden Bezeichnungen Armutsfalle bzw. Sozialhilfefalle. Die letzten beiden Begriffe und Ansichten stammen aus der sog. Standardökonomie.
Alle drei Begriffe werden benutzt, um die unterstellte Bequemlichkeit von Erwerbslosen auszudrücken, und alle drei (!) behaupten unausgesprochen, es würde es sich um ein Massenphänomen handelt.


WIRKLICH NUR EIN MISSVERSTÄNDNIS .. ?

Ein sprachliches Mißverständnis entsteht häufig genug durch die Tatsache, daß die Bezeichnung Armutsfalle von Betroffenen und Normalbürgern oft anders verstanden wird, als er von Vertretern der Standardökonomie gemeint ist.
Der einfache Bürger versteht unter Armutsfalle die Anerkennung einer schwierigen und sehr belastenden Armutssituation durch die Gesellschaft, und erwartet richtigerweise eine soziale Unterstützung dabei.
Und folgerichtig, aber doch überraschend deutlich, gibt es dafür in der Bevölkerung sehr viel Verständnis!

Von den VertreterInnen der Standardökonomie aber wird per Armutsfalle mangelnder Wille unterstellt, Faulheit eben, und damit eine eigene, individuelle Schuld. Trotz der Erkenntnisse an der UNI Leipzig geschieht das auch heute noch, und damit wider besseres Wissen. Die Zwangsmaßnahmen im SGB II haben genau diesen - sachlich falschen - Hintergrund.
Anders ausgedrückt versucht das Sozialgesetzbuch II ein Problem zu lösen versucht, was überhaupt nicht vorhanden ist.


FAZIT



Die Schlußfolgerung daraus: Bequemlichkeit oder Faulheit, soziale Hängematte, Armuts- oder was für eine Falle auch immer - mangelnde Bereitschaft zur Aufnahme von Erwerbsarbeit ist erwiesenermaßen kein Massenphänomen.
Die Politik läuft mit dem sog. Aktivieren im Sozialgesetzbuch II einem Phantom hinterher und das mit erheblichen Folgen - für die Gesundheit der betroffenen Menschen, für den bundesdeutschen Arbeitsmarkt und für die steuer- und beitragszahlenden MitbürgerInnen, die das schließlich auszubaden haben.

Ein Leben in Erwerbslosensarmut als Folge von Bestrafungskürzungen hilft Niemandem. Allein die Folgekosten im Gesundheitswesen dürften das dabei eingesparte Arbeitslosengeld II um ein Mehrfaches übersteigen - Krankheiten sind teuer, und chronische sind es noch viel mehr.
"Ganz schön unklug", möchte man jetzt denken, wenn da nicht die uralte politische Taktik des Teilen und Herrschens wäre. Ein Schelm, wer meint, daß der Mythos soziale Hängematte nicht aus purer Unwissenheit heraus entstanden wäre, sondern volle Absicht war.
Quelle: MALZ - Die Gesundheitsseite


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